Aliens auf dem Vormarsch
Die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa)
Ihre markante dreieckige Kopfform, der intensive Blick und besonders die vor der Brust gefalteten Fangbeine sowie deren blitzschneller Einsatz bilden schon seit tausenden Jahren die Grundlage für Mythen, Legenden, Geschichten und mittlerweile sogar Kinofilme. Kaum eine Insektenordnung ist so bekannt wie die Fangschrecken, auch Gottesanbeterinnen oder Mantiden genannt. Deutlich weniger bekannt ist jedoch, dass eine der weltweit 2400 Arten auch in Deutschland vorkommt: Die Europäische Gottesanbeterin (Mantis religiosa) (Abbildung 1).
Das Verbreitungsgebiet der Europäischen Gottesanbeterin reicht von Afrika über den Mittelmeerraum bis nach Asien zudem wurde sie von Europäischen Siedlern sogar nach Nordamerika verschleppt. In Deutschland galt diese wärmeliebende Art lange Zeit als äußerst selten und konnte sich nur in einigen Regionen der Rheinebene wie dem Kaiserstuhl oder nahe Freiburg halten und erfolgreich fortpflanzen. Die höheren Durchschnittstemperaturen der letzten Jahrzehnte ermöglichten es ihr jedoch, ihr Verbreitungsgebiet in Deutschland massiv zu erweitern. So gibt es seit den 1990er Jahren auch eine vermutlich über die Oder-Ebene aus Osten eingewanderte Population in Berlin, die sich auch in angrenzenden Bundesländern bereits etabliert hat.
Gottesanbeterinnen sind gute Jäger und können Beutetiere fangen, die fast genauso groß sind wie sie selbst. Meist erbeuten sie jedoch kleinere Gliedertiere (Insekten und Spinnen), die etwa der Hälfte ihrer eigenen Körpergröße entsprechen. Die Beute wird mit den Fangarmen gepackt und sofort gefressen. Selbst Insekten mit einer harten Körperhülle, wie zum Beispiel Heuschrecken, können sie mit ihren scharfen Kiefern (Mandibeln) verzehren. Selten erbeuten sie kleine Wirbeltiere wie Eidechsen oder Mäuse. Auch unvorsichtige Artgenossen stehen auf ihrem Speiseplan. Bei der Paarung ist deshalb für die Männchen Vorsicht geboten, um nicht im Magen ihrer Partnerin zu landen. Lange Zeit wurde von einem obligaten Sexualkannibalismus ausgegangen, bei dem das Männchen nach der Paarung vom Weibchen gefressen wird. Beobachtungen im Freiland haben jedoch gezeigt, dass ein Großteil der Männchen die 4 bis 6 Stunden dauernde Paarung unbeschadet überlebt (Abbildung 4).
Die Europäische Gottesanbeterin bevorzugt strukturreiche trockenwarme Gras- und Buschlandschaften, Ruderalflächen und hohe Wiesen besonders in Südhanglage. Wenn ein ausreichendes Angebot an Lebensraum und Beutetieren zur Verfügung steht, sind Gottesanbeterinnen auch in Gärten und im Siedlungsbereich zu finden und könnten so aufgrund der fortschreitenden Erwärmung bald auch in Stuttgart heimisch werden.
Sofern man die gut getarnte Jägerin einmal entdeckt hat, ist die Europäische Gottesanbeterin anhand der dreieckigen Kopfform und den häufig vor dem Körper gehaltenen kräftigen Fangbeinen leicht zu erkennen (Abbildung 2). Ausgewachsene Weibchen erreichen eine Körperlänge von etwa 7,5 cm, Männchen bleiben mit etwa 6 cm deutlich kleiner. Ihre Färbung ist sehr variabel und reicht von einem satten Grün über Brauntöne bis hin zu rötlichen oder gelben Exemplaren. Dabei sind die Tiere nach jeder Häutung in der Lage, ihre Farbe den dominierenden Farben der Umgebung anzupassen und sich somit noch besser zu tarnen. Als Lauerjäger verharren sie oft stundenlang reglos bis sich ein Beutetier in Reichweite ihrer Fangarme begibt. Die Beute wird dann mit den großen, aus hunderten winziger facettenförmiger Einzelaugen bestehenden Komplexaugen fixiert und mit den kräftigen Fangarmen blitzschnell gepackt. Der Fangvorgang dauert nur 50 bis 60 Millisekunden, was etwa 6mal schneller als ein menschliches Blinzeln ist. Die Fangarme werden von den stark bedornten Oberschenkel (Femur) und Unterschenkel (Tibia) des vorderen Beinpaares gebildet und werden in Ruhehaltung meist vor dem Vorderkörper gefaltet gehalten, was der Gottesanbeterin auch ihren Namen verlieh. Auf der Innenseite der stark verlängerten Vorderhüften tragen ausgewachsene Europäische Gottesanbeterinnen einen sogenannten Augenfleck. Fühlen sie sich bedroht, richten sie sich auf und präsentieren die Augenflecken mit seitlich gespreizten Fangbeinen und aufgerichteten Flügeln (Abbildung 3). Zudem können sie durch Reibung des Hinterleibs an den Hinterflügeln ein zischendes Geräusch erzeugen, das mögliche Fressfeinde abschrecken soll.
Verfasserin: S. Bigalk
Literatur zum direkt Nachlesen
- Battiston, Picciau, Fontana, Marshall 2010. Mantids of the Euro-Mediterranean Area. World Biodiversity Association onlus, Verona
- Chinery, M. 2012. Pareys Buch der Insekten. Kosmos, Stuttgart.
- Kuratorium Insekt des Jahres 2017. Flyer Insekt des Jahres 2017: Die Gottesanbeterin. Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut